Eine Geschichte über das Leben

Tag 1392 von 9191

Michael Stein hat schlecht geschlafen. Dies stellt allerdings keinen ungewöhnlichen Umstand dar, da Michael Stein selten zu einem erholsamen Schlaf findet. Nachdem er geduscht und Zähne geputzt hat, frühstückt er ein schnell gemachtes und ziemlich labberiges Käsebrot und macht sich hastig, aus seiner lieblos eingerichteten Zwei-Zimmer-Wohnung am Rand der Stadt, auf den Weg zu seiner Arbeit. Trotz eines auf den letzten Metern einsetzenden Sprints verpasst er, aufgrund seines sonst eher gemächlichen Tempos, die Bahn um wenige Wimpernschläge. Nach einer unerträglichen fünfminütigen Wartezeit und der quälenden Gewissheit, dass das pünktliche Erscheinen am Arbeitsplatz unmöglich geworden ist, steigt Michael Stein schlecht gelaunt in die nächste Bahn.

Michael Stein findet einen Sitzplatz zwischen anderen missmutig dreinschauenden Fahrgästen. Durch das Aufsetzen seiner Kopfhörer und das Abspielen seiner Lieblingsmusik, schafft er es erfolgreich sich von der Umwelt abzukapseln um durch das Durchlesen der aktuellen Nachrichten wieder in sie einzutauchen. Einige deprimierende Nachrichten später, der Verzweiflung über die Absurdität der Welt nahe, entscheidet sich Michael Stein lieber für ein belangloses Handyspiel und schafft es so den Rest des Weges unbehelligt zu überstehen. Immer noch müde und kaum besser gelaunt betritt Michael Stein seinen Arbeitsplatz

Nach einer kurzen Begrüßung und der Verspätung geschuldeten Eile macht sich Michael Stein bereit für seine Arbeit.

Michael Stein: „Schönen Guten Tag, mein Name ist Michael Stein. Was kann ich für sie tun?“ Kunde A: “Hallo, ich hätte gerne … und …“ Michael Stein: „Sehr gerne.“

Der erste Arbeitstag dieser Woche ist für Michael Stein nicht einfach zu ertragen, da das feuchtfröhliche Wochenende im Vergleich zu früheren Jahren einen immer größeren Tribut auch an folgenden Tagen fordert. Zumindest kann er sich mit dem Gedanken trösten, am nächsten Wochenende dieses immer fast identisch ablaufende Ritual mit seinen Freunden, wiederholen zu können.

Michael Stein „Schönen Guten Tag, mein Name ist Michael Stein. Was kann ich für sie tun?“ Kunde B: “Hallo, ich hätte gerne … und …“ Michael Stein: „Sehr gerne.“

Nach einem Blick auf die Uhr mit einem mehr als enttäuschendem Ergebnis fängt Michael Stein an seine Alternativen für die Mittagspause im Kopf durchzugehen und entscheidet sich vorläufig für das einsame aber schmackhafte Mittagessen in einer später näher zu bestimmenden Lokalität außerhalb des Arbeitsplatzes.

Michael Stein „Schönen Guten Tag, mein Name ist Michael Stein. Was kann ich für sie tun?“ Kunde C: “Hallo, ich hätte gerne … und …“ Michael Stein: „Sehr gerne.“

Einer spontanen Sehnsucht nach menschlichem Kontakt nachgebend, verschlägt es Michael Stein doch in die arbeitsplatzeigene Küche um dort seine Mahlzeit mit einigen Kollegen einnehmen zu können. Den auf den Tischen liegenden Zeitungen zum Dank bleiben die Gespräche auf einer freundlich informellen Ebene. „Michel wusstest du, dass man durchschnittlich 9191 Tage in seinem Leben arbeitet?“ Michael Stein: „Aha.“ Kauend und sich weiter einer Zeitung widmend schafft es Michael Stein, sich weiteren Gesprächen unaufgeschlossen gegenüber zu zeigen und den Rest seiner Pause hinter sich zu bringen.

Michael Stein „Schönen Guten Tag, mein Name ist Michael Stein. Was kann ich für sie tun?“ Kunde D:“Hallo, ich hätte gerne … und …“ Michael Stein: „Sehr gerne.“

Die sich kurzzeitig einsetzenden Frage nach der Sinnhaftigkeit seiner Arbeit verdrängt Michael Stein mit dem Gedanken an einen baldigen Feierabend. Dennoch kommt er nicht umher der grotesk anmutenden Banalität seiner Arbeit die Schuld für seine langsam einsetzenden Kopfschmerzen zuzuschreiben.

Michael Stein „Schönen Guten Tag, mein Name ist Michael Stein. Was kann ich für sie tun?“ Kunde E:“Hallo, ich hätte gerne … und …“ Michael Stein: „Sehr gerne.“

Ausgelaugt und mit einem etwas flauen Magen verabschiedet sich Michael Stein und verlässt seinen Arbeitsplatz. In der Bahn verfolgt er per Smartphone eine lebhafte Diskussion über die Abendgestaltung, die er allerdings aufgrund einer bereits einsetzenden Müdigkeit unbeteiligt verstreichen lässt. Zuhause angekommen isst er ein dem morgendlichen Käsebrot fast identisches Wurstbrot und macht sich es sich auf dem Sofa in dem mittelmäßig aufgeräumten Wohnzimmer gemütlich um weitere Folgen seiner hoch geschätzten Lieblingsserie zu sehen. Nach dieser wohltuenden Unterhaltung geht er schlafen.

Tag 1393 von 9191

Michael Stein hat schlecht geschlafen. Dies stellt allerdings keinen ungewöhnlichen Umstand dar, da Michael Stein selten zu einem erholsamen Schlaf findet…

 




Ein Kommentar

  1. Bob said:

    Eine (nicht so) schöne Geschichte.
    Jedoch würde ich die Überschrift ändern in: Eine Geschichte über das Leben im Hamsterrad.
    Denn es gibt auch einige Menschen, die es da raus geschaft haben 😉

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    25. April 2017
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